Selbstübersetzung. Zwischen Kleiner Literatur, Extraterritorialität und ‚Bilingualismus’
Sigrid Weigel
Abstract: Der Vortrag untersucht verschiedene theoretische Konzepte der Selbstübersetzung – wie Rewriting, Reenactment, Reproduktion – vor dem Hintergrund des Aufstiegs von ‚Translation’ als Meistertrope der Theorie und diskutiert die unterschiedlichen sprachtheoretischen Voraussetzungen und deren politische Implikationen. Mit dem Aufstieg der ‚kulturellen Übersetzung’ zur Meistertrope der Theorie hat sich der Akzent vom Exil zu Migration und Bilingualismus verschoben, womit die Übersetzungsarbeit selbst und der Blick auf mögliche sprachhegemoniale Zusammenhänge in den Hintergrund geraten sind – wie auch die Frage, ob der zu übersetzende Text in der ersten oder zweiten Sprache geschrieben wurde. Dagegen setzt der Vortrag die Nachträglichkeit der Selbstübersetzung gegenüber dem Schreiben und differenziert zwischen Autor*Innen diskursiver und poetischer Texte. 1. Das Unbehagen an der Selbstübersetzung in ‚kleinen Literaturen’ – 2. Die emblematische Figur des ‚translated man’ – 3. Zum Verschwinden der Übersetzungsarbeit im Bilingualismus – 4. Das Echo der Übersetzung – 5. Das Gespenst des ‚Originals’ – 6. Selbstübersetzung als Übersetzung ohne Original.
Vortragssprache: Deutsch
Nationalsozialismus in „Socialism“ übersetzen: Friedrich Hayeks Liberalismus auf Englisch
Spencer Hawkins
Abstract: Die Analyse des Fallbeispiels von Friedrich Hayek ermöglicht es, die bedeutendsten Faktoren zu entwirren, die hinter der Abwanderung von WissenschaftlerInnen aus Mitteleuropa in die anglophone Welt in den 1930er und 40er Jahre steckten. Während die Lebensbedingungen für akademisch tätige Juden und Sozialisten in Mitteleuropa unerträglich wurden, entwickelte sich in der anglophonen Welt das weltweit größte Universitätssystem. Hayek war weder Jude noch Sozialist. Daher ist der Reiz der englischen Universitätslandschaft in seinem Fall von besonderer Bedeutung, obgleich viele mitteleuropäische Gelehrte, insbesondere Ökonomen, noch vor dem Aufkommen des Faschismus in Europa von der anglophonen Welt angezogen worden waren. Dieser Vortrag befasst sich daher mit Friedrich Hayeks erstem großen englischsprachigen Werk „The Road to Serfdom“, in dem er argumentiert, dass zentralstaatliche Wirtschaftsplanung von Natur aus gegen die Interessen von Minderheiten gerichtet war, und zwar ganz unabhängig davon, ob diese Planung Sozialismus oder Diktatur genannt wurde. Ähnlich wie Hannah Arendt und sein intellektueller Verbündeter Karl Popper begreift Hayek Kommunismus und Faschismus als zwei Regierungsformen, die beide den in der anglophonen Welt geschätzten Freiheiten besonders abträglich sind. Dabei stützt Hayek seine Argumentation auf die Autorität seiner Migrationserfahrung, wodurch sein Buch zu einer besonders repräsentativen Über-setzung (translatio) für die Kultur der AkademikerInnen im Exil darstellt. Er brachte seine österreichische kulturelle und disziplinäre Perspektive in die keynesianisch-britische Wirtschaftskultur und formulierte seine ökonomische Theorie in der englischen Sprache so effektiv um, dass der Liberalismus mittlerweile als der angloamerikanische Wirtschaftsansatz schlechthin wahrgenommen wird.
Vortragssprache: Englisch
Drei Modelle wissenschaftlicher Selbstübersetzung im US-Exil: Fritz Heider, Gustav Ichheiser und Kurt Lewin
Clemens Knobloch
Abstract: Bei den gewählten Beispielfällen handelt es sich um exilierte deutsch-jüdische Wissenschaftler, die zwar alle drei Psychologen, aber auch alle drei auf unterschiedliche Weise selbst mit Problemen der Sprach- und Kommunikationsanalyse befasst waren. Fritz Heiders „naive Psychologie“ nimmt ihren Ausgang von der systematischen Explikation alltagssprachlicher Ausdrücke und ihrer implikativen Verbindungen. Gustav Ichheiser, der sich mit seiner „Kritik des Erfolgs“ von 1930 weder im „Roten Wien“ der späten 1920er und frühen 1930er Jahre noch (nach seiner Entlassung unter dem Dollfuß-Regime) später in Polen und dann im US-Exil dauerhaft etablieren konnte (Fleck 2015: 295-332), hat durch Selbstübersetzungen trotz seiner marginalen Position erheblichen Einfluss auf Erving Goffmans Mikrosoziologie und Harold Garfinkels Ethnomethodologie ausgeübt. Kurt Lewin schließlich, vermutlich der Bekannteste und institutionell Erfolgreichste der drei, hat (trotz seines frühen Todes 1947) gruppendynamische und kybernetische Denkweisen stark beeinflusst, die dann in den 1960er Jahren hier reimportiert wurden. Übersetzungen erfolgen nicht allein von Sprache zu Sprache, sondern im wissenschaftlichen Feld von einem fachlichen „Denkstil“ in einen anderen (Fleck 1935). Und diese Denkstile wiederum folgen nicht allein der „esoterischen“ Kommunikation kleiner Fachcommunities, sondern auch den „exoterischen“ Sagbarkeitsregeln der fachlichen Umfelder, des gesellschaftlichen Klimas, der Autorität und Reputation von Fächern. Einigen der mit dieser Konstellation verbundenen Übersetzungsfragen werde ich nachzugehen versuchen.
Vortragssprache: Deutsch
Vom Multilingualismus zur Lingua Franca: Die vergessene Sprachgeschichte des Logischen Empirismus
Friedrich Stadler
Abstract: Eines der Merkmale des Wiener Kreises und der Berliner Gruppe des Logischen Empirismus in der Zwischenkriegszeit war deren multi-ethnische, meist jüdische, Herkunft und Vielsprachigkeit. Das kommt bei den Mitgliedern (Männer und Frauen) und in der Mehrsprachigkeit der Publikationen (Deutsch, Französisch, Englisch, Holländisch, Italienisch u.a.) bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs zum Ausdruck. Durch die zunehmende Internationalisierung mit gleichzeitiger Desintegration dieser Bewegung aufgrund der Machtübernahme des Austrofaschismus und Nationalsozialismus, die zur erzwungenen Emigration der meisten Mitglieder in den anglo-amerikanischen Raum führte, kam es zu einem anderen „linguistic turn“, der sich schon vorher abzeichnete: die Dominanz des Englischen als Wissenschaftssprache wurde unumkehrbar – mit praktischen und theoretischen Folgen, die bis zur Gegenwart reichen. Davon abgesehen kann das Projekt von Neuraths internationaler Bildsprache (Isotype) - genauso wie die Bemühungen Carnaps mit Esperanto - auch als Angebot zur Überwindung sprachlicher und disziplinärer Grenzen gesehen werden, die mit Neuraths Anwendung von „Basic“ Englisch Hand in Hand ging. Es stellt sich die Frage, wie sich diese vergessene Sprachgeschichte im Profil und Inhalt des philosophischen Programms mit semantischen Verlusten niederschlug, was sich in verkürzter Weise im Dualismus von analytischer und kontinentaler Philosophie spiegelt.
Vortragssprache: Deutsch
Wissenschaftler im anglophonen Exil: Émigrés und Sprachwahl vor und nach dem Kalten Krieg
Michael Gordin
Abstract: Das Charakteristikum heutigen wissenschaftlichen Arbeitens ist seine Globalität. Es gehört zu einem typischen akademischen Werdegang, an einer Universität zu studieren, dort seine Promotion abzuschließen und dann als Postdoc an Universitäten in verschiedenen Ländern oder gar auf verschiedenen Kontinenten weiterzuforschen. Wie allgemein bekannt, wird diese Art wissenschaftlicher Arbeit durch die Dominanz einer Sprache für die Wissenschaftskommunikation ermöglicht und gefördert, nämlich durch „Global English“ oder „Scientific English“. Zwar müssen die Gründe für das Erstarken des Englischen als Wissenschaftssprache und für die gleichzeitige Abwendung von einem zuvor trilingualen System aus Englisch, Französisch und Deutsch bereits im Ersten Weltkrieg gesucht werden, in Folge dessen einige der internationalen Verbindungen zerbrachen, die die Mehrsprachigkeit unter Wissenschaftlern befördert hatten. Die weitreichenden Auswirkungen dieser Entwicklungen werden allerdings erst mit der großen Abwanderung wissenschaftlicher Communitys aus ihren Forschungsländern im Angesicht des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren spürbar. Eine überwältigende Anzahl an deutschsprachigen (größtenteils jüdischen) Wissenschaftlern wanderten überwiegend in englischsprachige Länder aus, wo die meisten das Englische als dominante Sprache für ihre wissenschaftlichen Publikationen übernahmen. Im Rahmen des Vortrags wird dieser Fall dem der sowjetischen (ebenfalls überwiegend jüdischen) Wissenschaftler gegenübergestellt, die in den Jahren um 1990 aus der UdSSR und ihren Nachfolgestaaten ausgewandert sind. Diese letztgenannte Auswanderungswelle, die die der 1930er Jahre zahlenmäßig übersteigt, bewegte sich hauptsächlich in Richtung Deutschland und Israel sowie in die Vereinigten Staaten und begann lange nach der Etablierung des Englischen als globale Sprache für die naturwissenschaftliche Forschung. In der vergleichenden Perspektive wird deutlich, dass über die Jahre des Kalten Krieges Wissenschaftler in jeweils anderen sprachlichen Umgebungen auch sehr Unterschiedliches mit der englischen Sprache verbunden haben.
Vortragssprache: Englisch